Das sogenannte Sense-Think-Act-Paradigma gilt als operative Definition eines (mobilen) Roboters. Ein besonderer Aspekt der mobilen Robotik ist die Interaktion des Roboters mit seiner veränderlichen, oft unbekannten und unstrukturierten Umgebung. Diese muss mit entsprechender Sensorik erfasst und mit geeigneten Algorithmen mit semantischer Bedeutung versehen werden (Sense). Für vollständig autonome Systeme sind moderne Methoden der künstlichen Intelligenz von Bedeutung (Think), z. B. zur Selbstlokalisation, Navigation und Handlungsplanung. Zur Bewegung in verschiedensten Umgebungen sind unterschiedlichste Antriebstechniken notwendig und die Manipulation der Umwelt
erfordert häufig hoch redundante Kinematiken mit der entsprechend komplexen Regelung (Act). Dies macht deutlich, dass mobile Robotik ein multidisziplinäres Forschungsgebiet ist und damit von der Nutzung Virtueller Testbeds profitieren wird. Ein weiterer wesentlicher Aspekt dabei ist, dass das Virtuelle Testbed eine Simulation der Interaktion des digitalen Prototypen mit seiner Umwelt bietet. So wie sich das Sense-Think-Act-Paradigma am Menschen orientiert, sollte sich auch der „Denkprozess“ des Roboters am Menschen orientieren. Der Mensch konstruiert auf Basis seiner Wahrnehmung und Erfahrungen ein „Mentales Modell“, anhand dessen er in der Lage ist, verschiedene Handlungsalternativen vollständig zu durchdenken, d.h. sich auch die aus seiner Handlung resultierenden Folgen vorzustellen. Die Forschung im Bereich Simulation-based Reasoning soll dazu beitragen, diese Fähigkeit auf den Roboter zu übertragen. Dafür muss der komplette Sense-Think-Act-Zyklus in der Simulation abgebildet werden können. Der ursprüngliche Denkprozess muss um die Simulation erweitert werden (aus Think wird Simulate), sodass der Roboter verschiedene Handlungspfade (Folgen von Aktionen) simulieren und dann anhand einer vordefinierten Gütefunktion den optimalen Handlungspfad auswählen und durchführen kann. Analog zum Mentalen Modell des Menschen ist dafür ein virtuelles Modell des Roboters und seiner Umgebung erforderlich. Bei der modellprädiktiven Regelung (engl.: Model Predictive Control, MPC) wird ein dynamisches Modell des zu regelnden Systems verwendet, um die Reaktion des Systems auf unterschiedliche Eingangssignale vorherzusagen. Dadurch können die Eingangssignale im Rahmen des gewählten Zeithorizonts optimal bestimmt werden. MPC wird üblicherweise zur Regelung verfahrenstechnischer Prozesse eingesetzt. Durch die Bereitstellung realitätsnaher virtueller Welten als Mentale Modelle kann das Konzept der MPC zu einer simulationsbasierten Handlungsplanung erweitert werden. Dabei stellt das Modell aus Roboter und Umwelt höchste Ansprüche an die 3D-Simulationstechnik, die mit Methoden Virtueller Testbeds am besten erfüllt werden können. Idealerweise ergeben sich Synergieeffekte, wenn bereits ein Virtuelles Testbed für die Entwicklung des Roboters eingesetzt wurde und dieses Modell anschließend in der operativen Phase als Mentales Modell eingesetzt werden kann. Dieses Mentale Modell soll damit nicht nur Regelung, sondern auch Handlungsplanung und damit eine deutliche Steigerung der Autonomie mobiler Roboter ermöglichen.
(entnommen aus: [Rast, Malte: “Domänenübergreifende Modellierung und Simulation als Grundlage für Virtuelle Testbeds”, Dissertation, RWTH Aachen University, 2014, ISBN 987-3-86359-283-7])